Noten sind eine Mitteilung des Komponisten an den Interpreten. Wie in einem Brief schildert der Erfinder darin – so genau er es für das Verständnis seiner Botschaft für notwendig hält – wie eine von ihm erdachte Musik klingen soll. So wie andere Kommunikationsformen ist auch diese eine sehr individuelle Sache, die von der Persönlichkeit des Verfassers, der Art der Mitteilung sowie von sprachlichen Eigenheiten abhängt. Und die Beziehung zu den Adressaten spielt eine Rolle: Der Brief an einen nahen Menschen etwa kommt mit weniger Informationen aus als der an einen Menschen, mit dem einen wenig verbindet.
Mit der Lebensrealität eines Komponisten einer früheren Epoche verbindet uns Menschen des 21. Jahrhunderts nicht viel, weshalb wir besonders darauf angewiesen sind, genau auf jedes Detail seiner Schriften zu achten. Erschwert wird diese Nachvollziehbarkeit dadurch, dass die Noten, die schon im Autographen nur eine Projektion der erdachten Klangwelt sind, durch den standardisierten Druck, aus dem wir heute musizieren, eine weiter Nivellierung erfahren. So gehen viele kleine Hinweise verloren.
Nachdem das Originalmanuskript gewöhnlich die einzige verbliebene authentische Verbindung zur Komposition ist, ist es mein Bestreben, so viel wie möglich der enthaltenen Aussage in den Druck zu übertragen. Es ist mir wichtig, neben größtmöglicher Texttreue und Erfüllung hoher graphisch-ästhetischer Ansprüche Information, die im Manuskript quasi „zwischen den Zeilen“ steht, weitestgehend auch im Druck sichtbar zu machen. Dabei ist oft der Erhalt der Zweideutigkeit zentral: Da es sich bei Noten nicht um einen rein stringenten Text handelt, sondern auch Position und Form der Zeichen den Inhalt wesentlich beeinflussen, kann eine Handschrift oft mehrfach gedeutet werden. Entgegen der üblichen Methode, durch Vergleiche und Begradigungen eine eindeutige Lösung zu schaffen, wage ich den Versuch, diese Mehrdeutigkeit im Druck umzusetzen. Unter Umständen muss dafür das Aussehen von musikalischen Zeichen verändert werden, oder es müssen sogar zu den üblichen Standardzeichen neue geschaffen werden, die ein handschriftliches möglichst originalgetreu wiedergeben. (Weitere Hinweise dazu finden sie im Abschnitt zu den jeweiligen Komponisten bzw. in den Vorworten der Partituren.)
Insgesamt ist es mein Wunsch, dass Ihnen als MusikerIn die intensive Beschäftigung mit der von großen Komponisten geschaffenen Stücke Freude bereitet und Ihnen meine Noten dabei ein nützliches Werkzeug sind.
Eine Besonderheit von Hummels autographischer Notation des Fagottkonzertes ist die außergewöhnliche Freiheit in Artikulation und Dynamik, die der Komponist hier dem Solisten lässt. Während alle Stimmen des Orchesters diesbezüglich genaue Anweisungen beinhalten, ist die Fagottstimme fast durchwegs frei von Bezeichnungen. Das hat meiner Ansicht nach seinen Grund im virtuosen Stil des Konzertes: Durch die von Hummel gewährte Freiheit erhält der Fagottist genügend Raum, um seinen Part den eigenen Bedürfnissen und Möglichkeiten so anzupassen, dass er damit beim Publikum größtmögliche Wirkung erzielen kann.
Ein ungewöhnliches Zeichen in Hummels Handschrift, auf das ich kurz hinweisen möchte, ist ein flaches geschlossenes Dreieck mit der Spitze auf der linken seite – einem Crescendo-Keil ähnlich. Hummel setzt dieses Zeichen auf Noten oder kurze Phrasen, die von besonderer melodischer oder harmonischer Bedeutung sind (oft gefolgt von einem piano). Die Art des Einsatzes und seine geschlossene Form sind für mich ein Hinweis darauf, dass es sich bei diesem Zeichen nicht um ein ein Crescendo handelt, welches von einer dynamischen Ebene auf eine andere überleiten würde, sondern vielmehr um Hummels Erlaubnis zu einer klanglichen bzw. dynamischen „Befreiung“ für die Dauer der Note oder Phrase. Damit ist es eher verwandt mit einem weichen Akzent oder einem Sforzando.
Seinem musikalischen Stil entsprechend ist Vivaldis Handschrift sehr klar und deutlich. Charakter und Aussage des jeweiligen Konzertes sind durch den graphischen Ausdruck des Autographen sofort offenkundig. Die Tatsache, dass Vivaldi Dynamik- und Artikulationszeichen sehr sparsam setzt, macht kleine Details in der Federführung noch besser sichtbar und damit für die Interpretation bedeutender. Ich habe viel Zeit und Energie aufgewandt, um den graphischen Grundcharakter des jeweiligen Autographen auch im Druck sichtbar zu machen und jeden möglichen Interpretationshinweis – von Balkensetzung über teilweise mehrdeutige Bogensetzung bis hin zu Balkenwinkeln und eher enger oder weiter Schreibweise – dem Interpreten zu vermitteln.
Eine Besonderheit im Druck meiner Vivaldi-Ausgaben ist die Behandlung der Versetzungszeichen: Vivaldis Umgang damit ist, wie in seiner Zeit üblich, sehr intuitiv; genauere Regeln dafür gibt es überhaupt erst seit 100 bis 150 Jahren. Besonders die Frage von melodisch oder harmonisch Moll ist in seinem Text oft nicht eindeutig gelöst, und das muss sie auch nicht! Um es dem Interpreten zu ermöglichen, die Fragen nach den richtigen Akzidentien selbst zu beantworten – vielleicht gar spontan im Konzert – sind alle Noten zweimal gesetzt. In den Partituren ist jeweils zuerst das ganze Konzert mit originalen barocken Akzidentien gedruckt, anschließend noch einmal mit der Übersetzung nach heute üblichen Regeln. Im Stimmensatz gibt es je eine Stimme mit barocken und eine gleiche Stimme mit modernen Akzidentien, damit der Musiker selbst entscheiden kann, aus welcher er spielt.
Die Manuskripte von Webers Werken für Fagott sind insgesamt gut erhalten und sehr detailliert, es gibt darin wenig Uneindeutiges. Seine Bogensetzung lässt in einigen Fällen Raum für Interpretation offen, jedoch gibt es sehr klare Dynamik- und Artikulationshinweise. Ein Zeichen in Webers Handschriften, das nicht zum Standard-Notensatz gehört, ist eine kleine gebogene vertikale Linie, ähnlich einem Stakkatostrich, die allerdings nicht über der Note sondern etwas nach rechts versetzt neben der Note steht, immer am Ende eines Legatobogens. Meine Deutung dieses Zeichens wäre die, dass hier die Phrase klar beendet werden soll, ob die Note dafür verkürzt werden muss, ist fraglich. Im Drucksatz habe ich das Zeichen möglichst originalgetreu wiedergegeben.
Noch während meines Fagott-Studiums habe ich diesen kleinen und feinen Verlag aufgebaut, um dafür zu sorgen, dass wir bei so schöner Musik auch die besten Noten zur Verfügung haben. Hauptberuflich bin ich Fagottist und Leiter der OBERTÖNE Kammermusiktage im Stift Stams, Österreich.
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